Tipp-Nr. 6: Erfolgreich einkaufen in Verkäufermärkten
Die aktuelle Frage:
Was können wir gegen die massiven Preissteigerungen unserer Lieferanten, den langen Lieferzeiten und den Lieferengpässen tun?
Antwort
In jeder Marktsituation gibt es Chancen und Möglichkeiten. Bevor wir zu den Maßnahmen kommen, lassen Sie uns die aktuelle Marktsituation etwas genauer analysieren. Innerhalb von wenigen Monaten vollzog sich in vielen Branchen der Wechsel von Einkäufermärkten (Nachfrage geringer als das Angebot, Angebotsüberhang) zu Verkäufermärkten (Nachfrage größer als das Angebot, Nachfrageüberhang). Wie konnte es so schnell dazu kommen? Befanden wir uns doch noch Ende 2019 in einer Wachstumsschwächephase und im 1. Corona-Jahr 2020 durch die Sperren sogar in einer ausgewachsenen Rezession. Nach rund einem Jahrzehnt ist die Inflationsspirale wieder in Gang gekommen.
Die aktuell 10 größten Stressfaktoren für die Wirtschaft
Durch die weltweiten Coronasperren und -maßnahmen wurden weltweit Lieferketten gekappt und beschädigt. Grenzen wurden geschlossen und wichtige Kreisläufe (z. B. die Seecontainer-Rotation) wurden gestört. Nie zuvor in der Geschichte wurde die Wirtschaft absichtlich so runtergefahren. Die Vorstellungen der Politik, man könne eine Volkswirtschaft einfach ab- und wieder anschalten, ist offensichtlich naiv und widerspricht jeglichen wirtschaftlichen Sachverstand. Hier sind die 10 aktuell größten Stressfaktoren für die globale Wirtschaft:
- Produktionskapazitäten wurden aufgrund der Coronasperren und -maßnahmen massiv reduziert oder fielen ganz weg (Betriebsschließungen, Konkurse).
- Lieferketten wurden / sind gestört.
- Lieferengpässe: Weltweit sprunghaft steigende Nachfrage für Rohstoffe und Vorprodukte trifft auf knappe / reduzierte Kapazitäten (siehe Pkt. 1).
- Stark steigende Rohstoff- und Vormaterialpreise sowie Lieferzeiten.
- Die Unternehmen stocken Ihre Lagerbestände stark auf und verschärfen den Nachfrageüberhang und den Preisanstieg.
- Mehrtägige Produktionsunterbrechungen (z. B. fehlende Hableiter für die Autoproduktion).
- Zu wenig freie Transportkapazitäten (z. B. Seecontainer).
- Stark steigende Energiekosten ab 2021 (CO²-Besteuerung).
- Entladungs-Stau und lange Abwicklungszeiten in den Seehäfen.
- Die aktuellen Lieferengpässe bremsen die wirtschaftliche Erholung aus.
Wichtig: Laut einer Ifo-Umfrage Ende Mai 2021 gaben fast 50 % der befragten Unternehmen an, bei Vorprodukten Lieferprobleme zu haben. Noch nie war dieser Anteil so hoch.
12 Maßnahmen im Einkauf bei Nachfrageüberhang in Verkäufermärkten
- Die Bedeutung von größeren Lagervorräten wird regelmäßig unterschätzt. Vorausschauend aufgestockte Lagerbestände sind in solchen Zeiten Gold wert.
- Stocken Sie Ihre Lagerbestände auf. Der Inflationszyklus beginnt gerade erst.
- Akzeptieren Sie kein Aufkündigen von Rahmenverträgen mit Festpreisen („pacta sunt servanda“: Verträge sind einzuhalten). Dieser römische Grundsatz gilt auch heute unverändert!
- Akzeptieren Sie keine Lieferantenforderungen den Vertrag vorzeitig aufzulösen, mit dem Argument „Wegfall der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB“ oder § 314 BGB „Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund“. Situationen, die darunterfallen, sind seltener als Sie denken. Auch massive Preissteigerungen zählen jedenfalls nicht dazu (mehr dazu im Online-Kurzseminar „Erfolgreich einkaufen in Verkäufermärkten").
- Suchen Sie intensiv nach neuen Lieferanten. Aktuell geht die Materialversorgung vor (Verfügbarkeit vor Wirtschaftlichkeit). Sie müssen sich aber bewusst sein, dass diese Maßnahme in Einkäufermärkten (Angebotsüberhang) besser funktioniert.
- Prüfen Sie mit dem PriceProtector, ob die Preiserhöhungswünsche der Lieferanten eine realistische Basis haben (Transparenz der Kostenentwicklung auf Lieferantenseite).
- Ohne fundierte Überwachung der Einkaufspreisentwicklungen auf der Lieferantenseite, bleibt Ihnen nur das Feilschen um eine Reduzierung der Preiserhöhungsforderung.
- Lieferanten arbeiten bei Preisforderungen oft mit Halbwahrheiten. Das bedeutet, die extreme Preiserhöhung eines Vorprodukts, wird gerne in den Vordergrund gestellt und generalisiert („Alles ist so teuer geworden“).
- Sorgen Sie im gesamten Team für die richtige mentale Einstellung für das Einkaufen in Verkäufermärkten.
- Nutzen Sie Ihre (hoffentlich) guten Beziehungen zu Ihren strategisch wichtigen Lieferanten. Märkte und Geschäftsbeziehungen sind keine Einbahnstraßen. Die Lieferanten daran zu erinnern, ist keine schlechte Idee.
- Jetzt sind Verhandlungsprofis mit Selbstbewusstsein, Ausdauer und „Biss“ gefragt. Wenn Sie Preiserhöhungen akzeptieren müssen, verfahren Sie immer nach dem Grundsatz „Kein Zugeständnis ohne Gegenleistung“.
- Installieren Sie ein Preis-Frühwarnsystem für die Entwicklung der Einkaufspreise Ihrer Lieferanten. Das ist das einzige Mittel gegen die gewinnschädliche Preiserhöhungs-Kaskade im Einkauf.
Exkurs: Die Inflation
Inflation ist der Vorgang, der dazu führt, dass die Preise steigen. Ist dies ein dauerhaft fortschreitender Prozess, sinkt die Kaufkraft des Geldes. Stellen Sie sich vor, ab nächsten Monat wird alles, was Ihre Firma einkauft um 5 % teurer, dann schlägt die Inflation direkt auf die Firmenkasse durch.
4 Gründe, warum Einkaufspreise steigen:
- Gewinndruck-Inflation: Das Prinzip der Gewinnmaximierung ist ein zentrales Element unserer Wirtschaftsordnung. Vor diesem Hintergrund nutzen Firmen jede sich bietende Gelegenheit, um die Verkaufspreise anzuziehen. Besonders leicht fällt dies Lieferanten, die sich in Märkten bewegen, in denen zu wenig Wettbewerb herrscht. Ganz leichtes Spiel haben Lieferanten, die eine Monopol- oder monopolähnliche Stellung innehaben. Übermäßige Marktmacht führt immer zum Preisdiktat.
- Kostendruck-Inflation: Dazu kommt es, wenn Löhne und Gehälter, Sozialversicherungsabgaben, Steuern, weitergereichte Preiserhöhungen von Produkt- und Dienstleistungslieferungen und andere Kostenelemente über den Produktivitätszuwachs hinausgehen.
- Inflationsimport: Sie ist lieferantenseitig oft der Auslöser für die Kostendruck-Inflation. Steigt beispielsweise der Preis für importierte Rohstoffe, wälzen die internationalen Händler diese Preissteigerungen auf die inländischen Einkaufsabteilungen ab. Die ausländische Inflation wird in das eigene Land übertragen.
- Anspruchs-Inflation: Hiermit ist der Verteilungskampf zwischen den Gewerkschaften und den Unternehmen gemeint. Die eine Seite will die Löhne und Gehälter in die Höhe schrauben, die andere hat die Steigerung der Gewinne im Sinn.
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