Tipp-Nr. 5: Das neue Lieferkettengesetz
Die aktuelle Frage:
Ist das neue Lieferkettengesetz schon beschlossene Sache und welche Unternehmen sind davon betroffen?
Antwort
Update vom 11. Juni 2021:
Lieferkettengesetz vom Bundestag beschlossen
Heute hat der Bundestag das Lieferkettengesetz in namentlicher Abstimmung beschlossen. Es gab 412 Ja-Stimmen und 159 Nein-Stimmen sowie 59 Enthaltungen. Damit kommen ab 2023 für Unternehmen und deren Lieferanten ab 3.000 Mitarbeitern und ab 2024 für Unternehmen und deren Lieferanten ab 1.000 Mitarbeitern viel Arbeit und große Belastungen zu.
Update vom 27. Mai 2021:
Die große Koalition aus CDU/CSU und SPD hat heute Ihren Streit um das deutsche Lieferkettengesetz beendet. Damit ist der Weg frei für die Beschlussfassung im Juni. Das bedeutet, dass die 2. und 3. Lesung bereits in den zwei Sitzungen vor der Sommerpause stattfinden könnten. Geeinigt haben sich die Fraktionen auch auf den Ausschluss der zivilrechtlichen Haftung für Unternehmen.
Nein, das Gesetz ist noch nicht offiziell verabschiedet. Es gilt allerdings als sicher, dass die Regierung ein Lieferkettengesetz verabschieden wird. Am Donnerstag, den 22. April 2021, fand dazu im Bundestag die 1. Lesung zum Gesetzentwurf über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten (19/28649) beraten. Im Anschluss an die 30-minütige Debatte wurde der Entwurf zur weiteren Beratung in den federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen. Das Gesetzgebungsverfahren sieht 3. Lesungen eines Gesetzentwurfes vor.
Den kompletten Gesetzentwurf zum Lieferkettengesetz (Sorgfaltspflichten-Gesetz) können Sie hier herunterladen: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/286/1928649.pdf
Welche Ziele verfolgt das Gesetz?
Kurz gesagt: Durch das Gesetz werden in Deutschland ansässige Unternehmen ab einer bestimmten Größe verpflichtet, ihrer Verantwortung in der Lieferkette in Bezug auf die Achtung international anerkannter Menschenrechte durch die Umsetzung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht besser nachzukommen.
Welche Unternehmen sind betroffen?
Das Gesetz soll ab 2023 verbindlich für große Unternehmen mit mindestens 3.000 Beschäftigten in Deutschland (ca. 600 Unternehmen), und ab 2024 dann für alle Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten in Deutschland (ca. 2.900 Unternehmen) gelten. Bitte lehnen Sie sich jetzt nicht entspannt zurück, wenn Sie im Einkauf in einem Unternehmen mit weniger als 1.000 Mitarbietern arbeiten. In der Praxis werden tatsächlich alle Unternehmen in die Pflicht genommen. Denn der Gesetzentwurf der Regierung (Reg-E) verpflichtet die Unternehmen zur vertraglichen Weitergabe entlang der Lieferkette: Zulieferer sollen vertraglich statt gesetzlich zur Einhaltung menschenrechts- und umweltbezogener Vorgaben verpflichtet werden.
Die Zulieferer sollen dann wiederum die Vorgaben an ihre Zulieferer vertraglich weitergeben. Ob sich Zulieferer tatsächlich auf solche Vertragspflichten einlassen, findet keine Berücksichtigung. Ein Vertrag ist grundsätzlich etwas für beide Parteien Freiwilliges. Damit werden kleine und mittlere Unternehmen (KMU) entgegen der Zusagen der zuständigen Minister über Gebühr belastet, auch durch die Weitergabe der Mehrkosten seitens der vom Reg-E verpflichteten Unternehmen. Es wird unverhältnismäßig in die Vertragsfreiheit und unternehmerische Freiheit der gesamten Wirtschaft eingegriffen.
Alarmstufe Rot bei den Wirtschaftsverbänden
Zum Regierungsentwurf des Sorgfaltspflichtengesetzes haben der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und 27 weitere Verbände einen gemeinsamen Brief an alle Mitglieder des Deutschen Bundestags geschrieben: „Kernprobleme des Regierungsentwurfs beheben.“Hier geht es zum kompletten Brief:
Hier sind einige Auszüge aus dem Brief an die Abgeordneten des Bundestages:
- „Die Handlungsvorgaben, die alle Unternehmen in globalen Lieferkettennetzwerken erfassen, sind zu unbestimmt und nicht umsetzbar.
- Es ist nach dem Reg-E völlig unklar, was der Maßstab für einen „Beitrag“ eines Unternehmens zu einem Risiko für Menschenrechte oder dem Umweltschutz bei Zulieferern sein soll und damit, wann es spezielle Sorgfaltspflichten ergreifen muss. Es muss klargestellt werden, dass nur “Beiträge”, die im unmittelbaren Zusammenhang zum Verstoß stehen, erfasst werden.
- Sorgfaltspflichten der Unternehmen, wie Abhilfemaßnahmen (Beseitigungsmaßnahmen), in Bezug auf mittelbare Zulieferer, zu denen gerade kein Rechtsverhältnis und damit keine rechtliche Einwirkungsmöglichkeit besteht, werden mit tiefgreifenden Sanktionen bedroht, ohne aufzuzeigen, wie sie erfüllt werden könnten: Unternehmen können Zulieferer, also andere Unternehmen, nicht einseitig zwingen. Gesetzliche Sorgfaltspflichten müssen klar auf unmittelbare Zulieferer begrenzt sein.
- Sorgfaltspflichten für den eigenen Geschäftsbereich deutscher Unternehmen sowie unmittelbare Zulieferer in Deutschland und in der EU gehen am Regelungsziel vorbei. Unternehmen unterliegen in Deutschland bereits den hohen deutschen Menschenrechts-, Arbeits-, Sozial- und Umweltschutzrechtsstandards, um nur einige zu nennen, sowie der Aufsicht durch deutsche Behörden. Es ist daher dafür zu sorgen, dass Unternehmen nicht mit zusätzlichen oder gar widersprüchlichen gesetzlichen Sorgfaltspflichten belastet werden.
- Die weitreichenden Sanktions- bzw. Strafandrohungen sind nicht ausreichend bestimmt. Die Schwelle zur Sanktionierbarkeit ist ungewöhnlich niedrig. Das widerspricht dem speziellen strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot der Verfassung. Im Vorfeld ist nicht klar, für welches konkrete Verhalten den Unternehmen Strafen drohen und was im Einzelnen erfüllt werden muss.
- Auch fehlt es an Hilfestellungen des Staates, wie einer Ombudsstelle oder einer Positivliste („Whitelist“) mit Staaten, in denen vorherrschende Rechtsstandards kein Risiko für Menschenrechtsverletzungen begründen.
- Ein Gesetz mit Anforderungen an die geschäftlichen Tätigkeiten eines Unternehmens muss auch für in Deutschland geschäftlich tätige ausländische Unternehmen gelten, einschließlich solcher Unternehmen, die ihre Waren über Plattformen vertreiben: Es sollte klargestellt werden, dass die Verpflichtetenstellung nach dem Reg-E an die rechtliche Selbstständigkeit des Unternehmens anknüpft, also nicht den Konzern, sondern die einzelnen Konzernunternehmen.
- Das Inkrafttreten des Gesetzes bereits zum 1. Januar 2023 ist viel zu knapp bemessen, zumal zahlreiche Detailfragen erst später durch Rechtsverordnungen und Handlungsempfehlungen konkretisiert werden sollen.
- Keine zivilrechtliche Haftung durch die Hintertür und keine Umgehung rechtsstaatlicher Anforderungen im Zivilprozess.
- Um u. a. Sanktionen gegen Unternehmen zu verhängen, soll das BAFA laut Reg-E Zugang zu Betriebsstätten, Räumlichkeiten, Grundstücken, etc. der Unternehmen erhalten und dort umfassend Unterlagen einsehen können. Weiterhin soll es von den Unternehmen unbeschränkt Auskünfte und alle möglichen Unternehmensunterlagen sowie Unterlagen von deren Zulieferern herausverlangen können.<2
Die EU will ein europäisches Lieferkettengesetz – noch strenger als der deutsche Entwurf
EU-Justizkommissar Didier Reynders hat bereits mehrfach öffentlich angekündigt, sektorübergreifende Regeln vorzuschlagen, die Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards in ihren globalen Lieferketten verpflichten sollen. Klare Durchsetzungsmechanismen und ein Sanktionssystem müssten zudem sicherstellen, dass die Standards auch eingehalten werden. Das derzeit diskutierte Lieferkettengesetz auf nationaler Ebene geht Reynders nicht weit genug. Er drängt auf ein noch härteres Lieferkettengesetz. Auch das Europäische Parlament begrüßt diese Pläne. Dessen Abgeordneten haben sich bereits Anfang März 2021 mit großer Mehrheit für sehr ambitionierte Sorgfaltspflichten in der Wertschöpfungskette ausgesprochen und fordern die EU-Kommission zu einem entsprechenden Richtlinienvorschlag auf. Für Juni 2021 wird der offizielle Richtlinienentwurf erwartet. Es bleibt abzuwarten, was konkret im Legislativtext der EU-Kommission stehen wird.
Der BDI-Standpunkt zu den Plänen der EU
„Unternehmen brauchen praktikable Rahmenbedingungen. Das europäische Lieferkettengesetz wird kommen. Nun muss es darum gehen, angemessene, praxistaugliche und mittelstandsfreundliche Rahmenbedingungen für international tätige Unternehmen zu schaffen: Ein gesetzlicher Kriterienkatalog muss klar definieren, was Unternehmen im Rahmen der Sorgfaltspflichten konkret zu tun haben. Sonst droht der Rückzug aus Ländern, in denen europäische Unternehmen bereits durch ihr Engagement zu höheren Standards, besserer Bildung und damit zu Wachstum und Wohlstand vor Ort beitragen.“ (Quelle: https://bdi.eu/artikel/news/eu-kommission-will-unternehmen-zu-mehr-nachhaltigkeit-verpflichten/)
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Jens Holtmann